Ein "grauer Engel" voller Leben

Im THEATER in der LIST spielt Sibylle Brunner die todkranke Marlene Dietrich

 

VON EVELYN BEYER

HANNOVER. Die perfekte Strumpfbandtechnik wars. Jo­sef von Sternberg, John Wayne und Jean Gabin: all ihre Liebha­ber trug sie in ihre Strumpfbän­der eingenäht, die verflossenen außen; die neuen am Innen­schenkel. So kam sie nie durch­einander, die große „Berliner, Schauspielerin, Weltverführe­rin' Marlene Dietrich.

 

In-Moritz Rinkes Stück "Der graue Engel", das im Theater in der List Premiere feierte, ist sie nicht mal mehr ein Schatten ihrer selbst. "Engel haben kei­nen Muskelschwund!", sagt sie bitter. Der Engel, das war sie, nun liegt sie im Bett, lässt nur noch den Butler zu sich und beschwört in ritualisierten Sze­nen die alte Größe herauf: Das soll sie über den Tag bringen.

Eine Paraderolle für eine großartige Schauspielerin wie Sibylle Brunner, die lange Jahre am Staatstheater Hannover spielte. Sie hadert, sie hustet, sie grollt, sie plaudert, sie ko­kettiert, zieht unglaubliche Ge­sichter und lässt Marlene das Letzte aus sich herausholen, um einen der, berühmten Songs an­klingen zu lassen, die „fesche Lola", die „Lilly Marleen". Und wenn sie die hohe Kunst des Schauspielens demonstriert, den einen Blick, die eine Bewe­gung, die "den gesamten Ib­sen" ausmacht, dann spricht ungebrochene Lust aus dem le­bensmüden Körper.

Sibylle Brunner, spielt das toll. Nur: sie ist keine Dietrich, eher das Gegenmodell: Leben­dig, menschlich, sprühend. Rin­kes Stück dreht sich um die lko­ne der Dietrich, die „die Künst­lichkeit wie einen Schutzschild vor das Leben halten" will. Be­schreibt das Klammern an der bröckelnden Fassade. Brunner aber spielt ein „unsere Leichen leben noch" - Aufbegehren, und Jan Bodinus' Regie hat diesen Widerspruch in keiner Weise positiv nutzen können. Es bleibt bei einer von Brunners Kunst her beeindruckenden Bebilderung, bei der Dennis Junge als Butler immerhin pas­sabel Klavier spielt.

 

Neue Presse Hannover 16.8.2010

"Engel haben keinen Muskelschwund"

Sibylle Brunner in Moritz Rinkes Stück "Der graue Engel" im Theater in der List

 

VON KRISTIAN TEETZ

Das Alter macht auch vor Diven, Stars und Engeln nicht halt. Marlene Dietrich war das alles auf einmal, Diva, Star, En­gel - und irgendwann auch alt. Nach den Dreharbeiten zum Film „Schöner Gigo­lo, armer Gigolo" zog sich die damals 78-Jährige 1979 in ihre Pariser Wohnung zurück. Ihr Bett wurde bis zu ihrem Tod 13 Jahre später zu ihrem Lebensmittel­punkt.

Doch was ist ein Star ohne Publikum, was bleibt von einer Schauspielerin ohne Auftritt? Ein Leben, das offenkundig nur noch mit viel Alkohol und Medika­menten zu ertragen war. Groß ist ihr Un­verständnis, dass etwas so Profanes wie Krankheiten über eine 'Göttliche kom­men.. „Muskelschwund, das kann nicht sein. Engel haben keinen Muskel­schwund", sagt die bettlägerige Dietrich in Moritz Rinkes' Stück "Der graue En­gel". Aber sie muss das Alter annehmen, muss akzeptieren, dass ihr Chanson „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe einge­stellt" vom Husten unterbrochen wird.

Wie schwer ihr das fällt, zeigt die Schauspielerin Sibylle Brunner in einem von zahllosen Koffern umstellten Holz­bett liegend in Jan Bodinus.' Inszenie­rung im Theater in der List.

In dem Stück spielt die Dietrich Tag für Tag noch einmal die Rollen ihres Le­bens. Ihren Diener Konstantin (viel mehr als Staffage: Dennis Junge) traktiert sie mit absurden Befehlen, sie zeigt ihre Strumpfbandsammlung, singt ihre be­rühmten Lieder, und wenn sie mit Zylin­der und Frack vor ihrem Bett steht, wird aus dem „grauen Engel" für kurze Zeit wieder der „blaue Engel": Mit solchen Bildern gelingt, Jan Bodinus eine wun­derbare kleine Hommage an Marlene Dietrich. Doch dass sie Mitleid erregt, dass der sehnsuchtsvolle Blick in die Ver­gangenheit, das Wissen um die eigene Vergänglichkeit nicht lächerlich und

nicht klischeehaft wirken, ist der wun­dervollen Sibylle Brunner zu verdanken. 14 Jahre, nachdem sie in Hannover schon einmal in die Rolle geschlüpft war, spielt sie den gefallenen Engel mit viel Wärme, aber auch mit Sinn für die Komik hinter der Tragik. Brunner zeigt sowohl - die harte, kalte Seite der entrückten Diva als auch die Verletzlichkeit eines alten Men­schen. Diese Aufführung berührt:.          

Die Beifallschallplatte, die die Dietrich im Stück oft als Publikumsersatz hören will, braucht Sibylle Brunner nicht.

 

Hannoversche Allgemeine Zeitung 16.8.2010

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Fotos : Copyright Joachim Giesel, Hannover