Stadtkind

hauskritik # 1

der letzte vorhang,

theater in der list von :• Mandy Dröscher-Teille

 

Es ist ein Stück des Erinnems, eine Reflexion auf das Leben und eine Homage an das Theaterspielen. Sie, einst eine großartige Schauspielerin, war sein Gret­chen und er, oft gescheiterter und erfolgloser Schauspieler, war ihr Faust. Sie war seine Julia und er war ihr Romeo. Doch das ist lange her. Sie, das ist Claire Reval, eine alte Diva, die nun im Altersheim lebt und an Demenz leidet. Er, das ist Con­rad Alberti, er ist ebenfalls in die Jahre gekommen und hat Lungenkrebs. Beide finden sich in einem Kostümfundus eingesperrt im Theater wieder. Sie hatte sich dorthin verlaufen, und er wollte sich dort die Kugel geben. Zufall? Nein, denn „Gott würfelt nicht", wie Conrad Alberti Albert Einstein zitiert. Beide haben so am Ende ihres aufregenden und spannenden, aber auch traurigen Lebens die Gelegenheit, sich als Menschen noch einmal neu zu entdecken. Dort, in einem Kostümfundus, beginnt ihre lange Reise des Erinnems.

Die zweistündige Insze­nierung (mit Pause) gewährt einen sehr tiefgehenden Einblick in das Leben der beiden Figuren. Welche Rollen haben sie gespielt, und welche wollten sie immer spielen? Welche Erfolge hatten sie und welche Verluste mussten sie in Kauf nehmen? Was für Menschen waren sie damals, und wie haben sie sich verän­dert? Welche Fehler haben sie gemacht und woran ist ihre Liebe zerbrochen?

Im Stück vermischen sich Traum und Realität, Inszenierung und Wirklichkeit miteinander, die beiden Schauspieler gehen so sehr in ihren Rollen auf, dass sie zur Realität werden. Sie verlieren sich in ihren Rollen. Überhaupt kommt dem Theaterspielen in diesem Stück eine zentrale Bedeutung zu, denn beide leben für das Theater und die Erinnerungen an ihre Rollen sind es, die sie am Leben halten. In den gemeinsamen Stunden im Kostümfundus spielen sie allein für sich, ganz intim, aber mit viel Impulsivität ihre Rollen noch einmal. Und sie er­greifen die Chance, ein letztes Mal das zu sein, was sie immer sein wollten.

Foto: © Giesel

Mit erfrischender Offenheit und schlagfertigen Dialogen, die bissig, ironisch, lie­bevoll und lustig zugleich daherkommen, gelingt es den Darstellern, Sybille Brunner und Willi Schlüter, sowie dem Regisseur, Jan Bodinus, das Stück leben­dig und unterhaltsam zu gestalten. Mit Sibylle Brunner, die viele Jahre auch am Schauspielhaus engagiert war, und Willi Schlüter, der als „lkone der Freien Thea­ter" in Hannover gilt, Mitbegründer der Theaterwerkstatt und des Jungen Thea­ters in Hannover ist und ebenfalls unter anderem am Schauspielhaus und an der Staatsoper engagiert war, hat das Theater in der List zwei großartige Schauspie­ler in einem Stück zusammengeführt.

Besonders gelungen ist dabei die Mi­schung aus komödienhaften und tragödienhaften Elementen. Sibylle Brunners Gestik und ihre graziöse Bewegungen tragen dazu bei, dass der Zuschauer die neu gewonnene Intimität hautnah nach­empfinden und miterleben kann. Die Lei­denschaft, mit der beide Schauspieler ihre Rolle ausfüllen, ist spürbar.

„Der letzte Vorhang" vereint viele (Thea­ter)welten von vielen großen Literaten in einem Stück und bietet ein Mosaik aus Zitaten, während Sibylle Brunner und Willi Schlüter den einzelnen Charakteren auf der Bühne Leben einhauchen. Am Ende ist es der letzte Vorhang für Conrad Alberti, und es ist das letzte große Stück, das beide Figuren gemeinsam zusammen spielen. Aber es ist auch die letzte Barrie­re, die zwischen zwei Menschen aufgeho­ben wird.

Großartiges Theater auf einer kleinen Bühne!


Wenn der letzte Vorhang fällt   sei/ NEUE PRESSE

 

MITTWOCH, 5. OKTOBER 2011

 

HANNOVER.       Mit diesem Wiedersehen haben beide nicht gerechnet: Eingeschlossen im Kostümfundus eines Theaters trifft sich das einstige Ehepaar nach über 20 Jahren wieder. Sie, die frühe erfolgreiche, streitbare Diva Claire (Sibylle Brunner), nun im unfreiwilligen Ruhe-stand mit beginnender Demenz. Und er,der Schauspieler Conrad (Willi Schlüter), dem die Karriere auch als Autor und Regisseur versagt blieb und der nun an Lungenkrebs leidet.                

Da hat sich Autor und Regisseur Jan Bodinus eine spannungsreiche Ausgangssituation für sein Kammerspiel „Der letzte Vorhang" ausgedacht – und seiner Mutter Sibylle Brunner auf den Leib geschrieben. Sie ist ja selbst eine der großen Alt-Schau­spielerinnen Hannovers, langjährig im Ensemble des Staatstheaters. Und Schlüter, Schauspieler und Theaterlei­ter meist in der freien Szene, steht ihr in nichts nach: Sie taxieren sich mit aller Ambivalenz eines Ex-Paares, bilanzieren: Was bleibt, wenn der letzte Vorhang gefal­len ist?

Witzig und nuanciert gehen sie aufeinander los, werfen sich frühere Fehler an den Kopf, sticheln zynisch und versöhnen sich ein bisschen beim Erinnern an ihr beweg-tes Leben. Conrad steuert fast liebevoll um Claires Gedächt­nisaussetzer herum, sie stützt ihn bei seinen Hustenanfäl­len. Dann wieder Drama, sie schießt mit der Schreck­schusspistole. Und über allem schwebt der Unfalltod ihres jungen Sohnes. Den Schmerz darüber betäuben sie durch Spielen alter Theaterrollen, in denen ihre Gefühle aufleben.

Aus­züge aus Bühnenklassikern wie Goethe, Schiller, Shake­speare mit improvisierten Verkleidungen und bissigen und witzigen Kommentaren. Kabinettstückchen zweier versierter Mimen.

Nicht nur dafür gibt es jubelnden Applaus.

 

****  4 Sterne  ( Höchstwertung 5 Sterne)