Hauskritik STADTKIND Nov 2014
Jacke wie Hose
Eine berührende und beklemmende Vorstellung, eine eindringlich intime Inszenierung!
In der Neuinszenierung von Willi Schlüter steht Schauspielerin Inga Kolbeinsson wahrhaftig ihren Mann: Als Ella Gericke verkörpert sie eine Frau, die, um den Arbeitsplatz ihres Mannes zu behalten, dessen Tod vertuscht und fortan unter seinem Namen weiter arbeitet und lebt. Eine unglaubliche aber wahre Geschichte, die im Berlin der 30er Jahre ihren Anfang nimmt und die Zeit bis zum Wiederaufbau erzählt – ein Zeitzeugenbericht und eine Identitätssuche jenseits der Geschlechter, sensibel und im höchsten Sinne persönlich erzählt.
Arbeit macht frei; so steht es auf der Fotocollage deutscher Historie, vor der sich die Person namens Gericke in unförmiger Wäschegarnitur positioniert, in der Hand eine Flasche Bier, das Gesicht erschöpft und mit dunklen Falten. Um sie herum hängen Kleidungsstücke von der Decke, ein Spiegel, ein Hut, ein Frauenkleid unter Männersachen. Der Mensch, die Frau, beginnt zu erzählen. Ihr ganzes Leben habe sie gearbeitet, sagt sie, und, fast vorwurfsvoll, dass die Suche nach Arbeit auch Arbeit sei. Man sieht es ihr an. Immer habe sie Pech mit den Männern gehabt, ihre Ehe habe nicht einmal zwei Jahre gehalten, dann sei ihr der Ehemann weggestorben. In der von Massenarbeitslosigkeit bestimmten Zeit habe sie damals den guten Arbeitsplatz ihres Mannes nicht aufgeben können und sei zum ersten Mal in seine Kleidung und in seine Haut geschlüpft. Der Trick mit dem Verband um das Gesicht ließ sie unerkannt in den Kran gelangen, er wirkt auch auf der Bühne gespenstisch gesichtslos. Gruselig auch, wie der neue Max Gericke/die alte Ella Gericke, davon berichtet, sein Alter Ego unter dem Namen seiner Frau/dem eigenen Namen bestattet zu haben.
Nicht nur symbolisch ist damit Ellas Identität ausgelöscht, fortan verwandelt sie sich von Tag zu Tag mehr in den Kranführer Max, kloppt Skat mit den Kumpels und grölt deren Parolen. Aber dass beim Neuen „tote Hose“ ist, bringt sie nicht nur im Männerhort zeitweise in arge Bedrängnis, auch im Privaten kann Ella nicht mehr aus ihrer Tarn-Haut und kämpft innere Schlachten gegen ihre geheime Identität als Frau. Die Sehnsucht nach unmöglicher Intimi- tät, die erzwungene körperliche Einsamkeit stellt Inga Kolbeinsson schmerzlich authentisch mit einer albtraumhaften Szene dar, die die Leiden der Mann- Frau in das Publikum trägt. Alleine stimmlich schlüpft die Verstellungskünstlerin in dutzende Rollen, sie rezitiert, befiehlt, jammert, lallt und bringt vor allem den innerlichen Geschlechterkampf, der in ihr tobt, an die Oberfläche der mitleiderregend zerrissenen Unperson auf der Bühne. Sparsam eingesetzte Musik und vereinzelte Hintergrundgeräusche belassen den Fokus auf der hauptsächlich sprachlich-mimischen Darbietung, der es ohne großes Drumherum gelingt, durch das Leben der Frau zu führen, die auch nach dem Krieg nur zu einem einzigen taktischen Intermezzo in ihre weibliche Rolle zurückfindet. Sie war Kranführer, SA-Mann, Knecht, Fabrikarbeiter. Was am Ende bleibt, ist ein Mensch, dessen Leben reich an Arbeit gewesen ist – und frei von allen persönlichen Bindungen. Jetzt steht ihm nur noch der Fernseher bevor. AW
Weitere Vorstellungen: 04., 26. & 28.11. sowie am 17. & 19. 12.